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Procurement TRANSFORMATION
was wirklich zählt
Überleben lernen
Die Transformation des Einkaufs ist für Unternehmen ein notwendiger Beitrag zur Existenzsicherung in unruhigen Zeiten. Ausgehend von Unternehmenszielen muss der Einkauf zukünftige Erfolgsfaktoren bestimmen und nachhaltige Veränderungen realisieren.
Kaum 15 Zentimeter groß, sind Schnäpper eher harmlose Vögel, die für viele Räuber leichte Beute wären. Doch die kleinen Tiere haben ein enges Kooperationssystem entwickelt, das sie auch vor deutlich größeren Feinden schützt: Taucht ein Raubtier auf, dann schreit der Schnäpper, der es als erstes sieht. Die anderen Vögel seines Schwarms umringen den Feind daraufhin eng, bis dieser sich irritiert zurückzieht. Tatsächlich ist dieses Verhalten bei den Schnäppern ein Geben und Nehmen: Vögel reagieren eher auf den Hilferuf eines Artgenossen, der zuvor bereits für sie gekämpft hat.
Von diesem Verhalten können sich Unternehmen inspirieren lassen. Kooperation und eine agile Reaktion auf unerwartete Risiken sind essenziell, um auch in den kommenden Jahren eine widerstandsfähige Organisation zu stellen und resilient gegen äußere Einflüsse zu werden. Denn das Wirtschaftsklima kühlt sich derzeit rapide ab, unter anderem aufgrund der Zollstreitigkeiten zwischen den USA und China sowie der Unsicherheit des Brexits. Hinzu kommt die Digitalisierung, die nahezu alle Prozesse im Unternehmen beschleunigt – Anwendungsbeispiele gehen über automatisierte Abwicklungsprozesse und verbesserte Analysemethoden hinaus und ermöglichen automatisierte Entscheidungen in Echtzeit hinsichtlich Beschaffung, Herstellung und Distribution. Wer dabei nicht ähnlich effektive Mechanismen wie die Schnäpper entwickelt, droht, schnell abgehängt zu werden.
Resilienz
leitet sich von dem englischen Wort „resilience“ (Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität) ab und bezeichnet allgemein die Fähigkeit einer Person oder eines sozialen Systems, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Folgen von Stress umzugehen. (Stangl, 2019)
Gerade unter den aktuell schwierigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ist der Einkauf entscheidend dafür, effizient und günstig produzieren zu können, Liefersicherheit zu gewährleisten und gemeinsam mit internen und externen Partnern Innovationen und neue Projekte zu realisieren. Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, sollte die Procurement Transformation aktiv vorangetrieben werden.
Oft fehlt jedoch eine definierte Grundlage für diese Transformation – Zweck und Ziele des Einkaufs sind unklar, die Rolle des Einkaufs als Werttreiber im Unternehmen ist nicht sichtbar und es fehlen konkrete Anwendungsfälle als Grundlage gezielter Investitionen. Auch die Tatsache, dass nur wenige Mitarbeiter schon die notwendigen IT-Kenntnisse für eine erfolgreiche Anpassung besitzen, steht einem Wandel im Weg.
Neben den operativen Zielen des Einkaufs geht es insbesondere darum, den zukünftigen Zweck zu identifizieren, an dem sich das ganze Team orientiert und auf den es im Rahmen der Transformation hinarbeitet.
Procurement Purpose: Sinn und Zweck des Einkaufs definieren
Die Transformation des Einkaufs ist ein ambitionierter Weg, um die Vision und die Ziele des Einkaufs zu erreichen. Die eigenen Fähigkeiten zu optimieren sowie neue Rollen und Denkweisen einzuführen ist oft ein mehrjähriger Prozess. Um die Transformation zu meistern, muss der Einkauf zudem Handels- und Währungseinflüsse sowie Beschaffungsrisiken im Blick behalten und ergebnisorientiert steuern.
Purpose
beschreibt den Geschäftszweck, in dem Ansprüche, externe Bedürfnisse und das eigene Handeln zusammenfließen. Das Ziel ist ein dauerhaftes Bestreben, Bedürfnisse der Welt, die das Unternehmen als wichtig erachtet, durch das eigene Handeln zu befriedigen. (Henderson Institute)
Welche Rahmenbedingungen bestimmen den Erfolg im kommenden Jahrzehnt?
In einer aktuellen Studie hat BCG die wichtigsten Erfolgstreiber für das nächste Jahrzehnt identifiziert. Unternehmen müssen sich an ein neues Umfeld anpassen, um in den 2020er Jahren erfolgreich zu sein: Diese neue Wettbewerbslogik wirkt sich auch auf die zukünftige Rolle des Einkaufs aus.
/Im Rahmen der Einkaufstransformation sollte eine Organisation geschaffen werden, die diese Treiber unterstützt:
Die Fähigkeit, neue Geschäftsmodelle zu etablieren und neue Technologien sowohl in der eigenen Organisation als auch in den Lieferanten-netzwerken der Unternehmen erfolgreich einzusetzen, wird immer wichtiger.
Eine erfolgreiche Digitalisierung geht über die Automatisierung von Prozessen und die analytische Entscheidungsunterstützung hinaus. Die verfügbaren Daten ermöglichen automatisierte Entscheidungen im Zusammenhang mit der Herstellung, dem Handling und dem Vertrieb von Produkten und Lösungen.
Schließlich müssen Unternehmen Risiken und Schocks aufgrund wirtschaftlicher und geostrategischer Unsicherheiten erkennen und die Fähigkeit, schnell darauf zu reagieren, grundlegend verbessern.
Neben wirtschaftspolitischen Einflüssen spielen individuelle Kundenbedürfnisse eine wichtige Rolle als Treiber der Procurement Transformation, denn deren Befriedigung steht für das Überleben des Unternehmens an erster Stelle und sollte daher bereits im Einkauf antizipiert werden.
Wer seinen Einkauf wirklich nachhaltig aufstellen will, sollte ein klares Ziel zur Rolle des Einkaufs in fünf Jahren vor Augen haben. Die Rolle kann dabei durchaus vielseitig sein: Bringt der Einkauf als Innovator gemeinsam mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung das Unternehmen in die Zukunft? Hier stehen Kompetenzen wie die Zusammenarbeit mit der Vorfeldentwicklung oder das gezielte Technologiescreening in kritischen Beschaffungsmärkten im Vordergrund.
Die traditionelle Rolle als Kostenmanager mit der Verantwortung einer effizienten, kostengünstigen Beschaffung setzt andere Fähigkeiten voraus, von der Kostenmodellierung zur systematischen Bedarfs- und Risikoplanung. Mit dem Einsatz der richtigen Werkzeuge kann die Leistungsfähigkeit des Einkaufs deutlich gesteigert werden, vor allem mit Blick auf die Digitalisierung. Doch bisher haben nur wenige Firmen ihre Beschaffungsprozesse umfassend digitalisiert und automatisiert. Grundsätzlich besteht hier Problembewusstsein – dennoch nimmt nur jedes zweite Unternehmen für sich in Anspruch, die Digitalisierung des Einkaufs bereits in die Wege geleitet zu haben.
Neben den operativen Zielen des Einkaufs, beispielweise Verfügbarkeit und Kostenoptimierung, geht es insbesondere darum, den zukünftigen Zweck, wie zum Beispiel Förderung von Innovation und Nachhaltigkeit zu identifizieren, an der sich das ganze Team orientiert und auf den es im Rahmen der Transformation hinarbeitet. Wichtig ist, dass den Rahmenbedingungen Rechnung getragen wird, die für die Einkaufsperformance und das Unternehmen entscheidend sind.
Erfolgsentscheidend ist die Abstimmung mit allen Partnern, um die ganze Supply Chain – vom Lieferanten bis zum Endkunden – abzubilden.
Gestaltung der Roadmap: Ziele und schnelle Ergebnisse erreichen
Auf Basis dieser Ziele ist im nächsten Schritt ein konkreter Plan zu entwerfen. Dieser sollte in enger Abstimmung mit den Führungskräften auf C-Level entstehen, selbst die innovativste Einkaufsabteilung muss sich dabei als Teil des Ganzen begreifen. Unterschiedliche Prioritäten in Bezug auf Kostenperformance, Effizienz, Innovationen oder Risikomanagement beeinflussen den Veränderungsbedarf. Eine klare Priorisierung ist daher unumgänglich: Soll der Einkauf eher den Erlös der Firma steigern oder dafür sorgen, dass die Nachhaltigkeit im Vordergrund steht?
Was macht eine erfolgreiche Einkaufsorganisation aus?
Maximale Performance bezogen auf Wertschöpfung, Kosten-und Risikomanagement, Kundennutzen und Innovationen
Vertrauensvolle Beziehungen zu Geschäftspartnern zur beiderseitigen Ergebnissteigerung, breitere Lieferantenbasis, gemeinsame Innovationen
Schulung der Einkaufsorganisation, z. B. Fähigkeiten wie Führung, Agilität, Datenanalyse
Agile Prozesse und schnelle Reaktionen durch ein hochmotiviertes, kompetentes Team
Klar definierte Digital- und Systemstrategie zur Bewältigung von Problemen, Zukunftssicherheit, Prozessoptimierung und Analytik
Von traditionellen Maßnahmen, z. B. Volumenallokation, Preisverhandlung, bis hin zu anspruchsvollen Ansätzen, z. B. Nachfragemanagement, Supply Chain Finance, Zielkosten, Zero Based Budgeting
Basierend auf den Prioritäten müssen im Anschluss klare Verantwortlichkeiten definiert werden. Niemandem ist damit geholfen, wenn jede Entscheidung zu langwierigen internen Diskussionen führt. Es ist daher sinnvoll, den konkreten Umsetzungsplan top-down zu erarbeiten und die einzelnen Rollen zuzuweisen.
So kann sichergestellt werden, dass der Einkauf zum einen die Rückendeckung der Geschäftsleitung und die Akzeptanz der Management-Ebene hat. Zum anderen wird auf diese Weise auch das Team integriert und die anstehenden Veränderungen werden greifbar, sodass die Mitarbeiter:innen die Notwendigkeit und ihre Aufgaben im Rahmen der Transformation verstehen.
Hilfreich können hierbei sogenannte Leuchtturmprojekte sein. Wenn bereits früh im Transformationsprozess erste herausragende Erfolge aufgezeigt werden, motiviert das die Mitarbeiter:innen – und überzeugt auch die Geschäftsführung – weil Resultate direkt sichtbar werden.
Niemandem ist damit geholfen, wenn jede Entscheidung zu langwierigen Diskussionen führt.
Je nachdem, welche Ziele Priorität haben, müssen auch die Prozesse angepasst werden – hier wird die Idee des agilen Arbeitens sehr wichtig.
Damit die Transformation des Einkaufs erfolgreich verläuft, sollten diese vier Bereiche betrachtet werden.
1. Organisation und Team entwickeln
Wer neue Prozesse und Technologien implementiert, der braucht die entsprechenden Kompetenzen in der Einkaufsabteilung. Dazu können wahlweise neue Experten und Expertinnen ins Team kommen oder der Einkauf vernetzt sich enger mit anderen Fachabteilungen im Unternehmen. Will der CPO etwa die vorhandenen Datensätze – zum Beispiel Kundendaten und Kosten – analysieren, kann er sich einen Spezialisten oder eine Spezialistin einkaufen oder prüfen, ob die hauseigene Finance- oder IT-Abteilung unterstützen kann. Natürlich können auch die eigenen Mitarbeiter:innen entsprechend qualifiziert und eigene Datenkompetenz aufgebaut werden. Hilfreich kann es zudem sein, abteilungsübergreifende Teams zu schaffen, die bestimmte Themen angehen. Bei der Datenanalyse kann sich dann zum Beispiel der:die Datenspezialist:in mit erfahrenen Einkaufsmanagern und einem Finance-Expert:innen zusammensetzen.
2. Optimierung von Prozessen
Je nachdem, welche Ziele Priorität haben, müssen auch die Prozesse angepasst werden. Hier wird die Idee des agilen Arbeitens sehr wichtig. Durch die Gründung von weitestgehend eigenverantwortlichen Teams, die vom Management unterstützt und ermutigt werden, kann diese Agilität erreicht werden. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Vision und Ziele zuvor klar kommuniziert wurden, damit alle Beteiligten wissen, worauf sie hinarbeiten. Für die Vorgesetzten ist es sehr wichtig, diese Teams passend zusammenzustellen: Manche Mitarbeiter:innen arbeiten gerne selbstständig, andere fühlen sich in klassischen Strukturen wohler. Diese beiden Typen sollte man zusammenführen, damit sie sich gegenseitig ergänzen.
Doch die Optimierung hört nicht bei internen Prozessen auf. Das Unternehmen muss eng mit den Lieferanten kooperieren und mit diesen effizientere Lieferwege und Lagerhaltung planen. Algorithmen und Datenanalyse können mögliche Effizienzen identifizieren, indem sie Informationen verknüpfen, die bis dato nicht zusammengeführt wurden. Je komplexer das eigene Geschäft ist, desto größer sind die Vorteile. Bei der Implementierung neuer Prozesse sollten Unternehmen aber berücksichtigen, dass diese nach Möglichkeit auch Veränderungen im Geschäftsumfeld überstehen können sollten.
3. Identifizierung der richtigen Tools
Wenn das Unternehmen die Hausaufgaben gemacht und die notwendigen Strukturen geschaffen hat, kann es die Digitalisierung des Einkaufs angehen. Transparente Daten und qualifizierte Teams sind notwendig, um zu entscheiden, wo Digitalisierung sinnvoll ist und welche Werkzeuge für die eigene Abteilung die richtigen sind. Big Data, Künstliche Intelligenz und Blockchain sind zwar populäre Buzzwords, doch nicht jede Innovation passt zu jeder Firma. Das eigene Team sollte die neuen Tools auch bedienen können. Ansonsten verkompliziert es die Arbeitsprozesse, anstatt Effizienzgewinne zu schaffen. Auch hier kann der Leuchtturmansatz helfen: Ein digitales Bestellsystem kann zunächst für eine Warengruppe oder ausgewählte Lieferanten genutzt werden. Wenn es dort funktioniert, setzt man es in der Folge breiter ein.
4. Einbeziehung von Lieferanten
Die Procurement Transformation muss zwangsläufig auch die Lieferanten einbinden. Denn die schönsten Ideen im eigenen Haus bringen wenig, wenn die
Partner nicht mitziehen. Durch enge Kooperation kann vor allem die Resilienz des Einkaufs erhöht werden, etwa durch strategische Partnerschaften. Hier ist beiderseitige Transparenz gefragt. Wenn der Zulieferer langfristig mit einer konstanten Nachfrage planen kann und diese auch zugesichert bekommt, dann kommt er dem Einkauf vielleicht in anderen Bereichen entgegen. Durch eine gute Beziehung zum Lieferanten kann das eigene Unternehmen zum „Customer of Choice“ werden und damit auf Vorzugsbehandlung hoffen. Wichtig ist der konstante Austausch mit den Partnern. Dabei kann man zum Beispiel auf Befragungen setzen, um eine Einschätzung zu der Kooperation zu bekommen und mögliche Stellschrauben für eine bessere Zusammenarbeit zu finden.
FAZIT
Die permanente Anpassung der Einkaufskompetenzen an neue Anforderungen und Rahmenbedingungen wird zum Normalfall. Zentrales Element ist ein robuster Transformationsprozess, der beispielsweise Technologieinvestitionen im Einkauf in gezielten Mehrwert für das Unternehmen übersetzt. Wichtig ist, dass die Ziele der Veränderung klar erkennbar sind und zu den Erwartungen der Business Partner passen, um nach innen und außen ein stimmiges Bild zu vermitteln. Doch letztlich ist Transformation ein stetiger Prozess und es gibt ständig neue Optimierungspotenziale, die man zuvor noch nicht im Blick hatte. Die Gesamtorganisation und die Strategien zur Zielerreichung müssen resilient aufgestellt und dafür regelmäßig angepasst werden – dem Einkauf kommt hierbei eine tragende Rolle zu.
Autor
Stefan Benett
ist Geschäftsführer im Münchener Büro von KGM Strategy. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich Einkauf und Operational Excellence. Als Experte für Einkaufstransformation entwickelt er zukunftsorientierte Einkaufsstrategien für produzierende Unternehmen sowie Unternehmen der Energiewirtschaft.
Interview mit Unternehmenscoach Dominic Hand zum Thema Change Management
"Partizipation statt Information"
Dominic Hand ist Geschäftsführer & Head of Human Resource Development bei AKZENT Consulting. Mit seinem Team unterstützt er Kunden bei der Personal- & Organisationsentwicklung, gezielter Personaleignungsdiagnostik und Digitalem Lernen. Er arbeitet als Berater unter anderem in Change-Projekten sowie Leadership-Development-Programmen.
Herr Hand, Sie haben viele Transformationsprozesse begleitet. Was ist der erste große Fehler, den Unternehmen machen?
Der erste Fehler passiert oft zu Beginn einer solchen Transformation. Die verantwortlichen Manager sind erfolgreiche Betriebswirte, technische und juristische Top-Leute und haben gute Ideen, Prozesse und Geschäftsmodelle optimiert werden können. Diese Anpassungen verlaufen jedoch nur dann erfolgreich, wenn sich auch die Unternehmenskultur sowie die Einstellungen und Verhaltensweisen jedes einzelnen Mitarbeiters verändern.
Daher braucht es von der ersten Sekunde an ausgebildete Experten für „den Faktor Mensch“ unter den Verantwortlichen. Eine Transformation in Strukturen und Prozessen ist immer nur so erfolgreich, wie die Transformation in den Köpfen der Mitarbeiter gelingt. Gerade in heutigen volatilen Zeiten werden Soft-Skills zu Elementary-Skills. Dieser Faktor wird immer noch zu sehr unterschätzt oder zu spät priorisiert – teils mit gravierenden Folgen für das gesamte Projekt.
Oft hat das Top-Management aber doch schlüssige Argumente und überzeugende Daten. Ist das denn kein guter Ausgangspunkt?
Das Top-Management glaubt oft, dass der Handlungsbedarf offensichtlich ist. Die Erfahrung zeigt aber, dass den meisten Mitarbeitern und Führungskräften zunächst glaubwürdig vermittelt werden muss, weshalb eine Veränderung und Transformation unausweichlich ist, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Es gilt, diesen „Sense of Urgency“ klar und wiederholt zu kommunizieren. Erst, wenn die kritische Masse der Beteiligten wirklich verstanden hat, was passiert, wenn eine Transformation ausbleibt, sollte man den nächsten Schritt gehen.
Warum ist das so wichtig? Man könnte doch auch die Marschrichtung vorgeben und vorneweg gehen.
Viele sagen, dass sie einer Veränderung grundsätzlich positiv gegenüberstehen – bis es das erste Mal persönlich wehtut. Diese Notwendigkeit für Veränderung in den Köpfen zu verankern, gelingt nicht mit einmaligen Gruppen-Veranstaltungen oder via CEO-E-Mails. Es braucht eine professionelle Kommunikationsstrategie und viele kleine Gespräche auf allen Ebenen über lange Zeit. Wo Veränderungsdruck zunimmt, wird die Fähigkeit zum Gespräch elementar.
Wo liegt die Krux bei solchen Gesprächen?
Zunächst einmal sehen die meisten Mitarbeiter in einer Transformation eine mögliche Gefahr. Das ist nachvollziehbar, denn das Arbeitsumfeld wird sich grundlegend ändern. Dies löst bei vielen einen Angstreflex vor der Veränderung aus. Kümmert man sich nicht professionell um diese Schutz-Reflexe, sind Resignation und Widerstand die Folge bis hin zu einer gefährlichen, negativen Gruppendynamik.
Wie kann das Management entgegensteuern?
Es ist wichtig, die Mitarbeiter partizipieren zu lassen. Menschen möchten Einfluss auf ihr Schicksal nehmen und aktiv mitgestalten. Meine Erfahrung zeigt, dass Change Management in der Praxis oft noch zu sehr auf reines Informieren über Entwicklungen und Entscheidungen setzt, statt so früh wie möglich kluge Partizipation anzubieten.
Handlungsempfehlungen für ein erfolgreiches Transformationsprojekt
1. Personal- und Organisationsentwicklung frühzeitig planen und budgetieren
Um Mitarbeiter zu überzeugen, braucht es Zeit und oft einen langen Atem. Für diese psychologische Dimension sollte das Management unbedingt Spezialisten hinzuziehen, die ein begleitendes Personalentwicklungskonzept aufsetzen. Das kann die Veränderung unterstützen und von Beginn an Folgekosten minimieren.
2. Klare Kommunikation
Eine klare Kommunikation muss dafür sorgen, dass Begründungen und Botschaften statt Phrasen gesendet werden und dass eine echte Vision klar wird. Dem Flurfunk gilt es transparent und schnell Informationen entgegenzusetzen und sicherzustellen, dass sich die Akteure im Top-Management auch in hitzigen Situationen in ihren Botschaften nicht widersprechen.
3. Führungskräfte als Multiplikatoren
Werden die Mitarbeiter nicht richtig abgeholt, kann es passieren, dass das Projekt durch unkooperatives Verhalten oder schlichtweg Passivität der Führungskräfte scheitert. Die Anforderungen sind dabei oft andere als im Alltag. Führungskräfte sollten entsprechend vorbereitet werden. Neben Kommunikation, intensiven Gesprächen und ausreichend Bereitschaft, sich kritischen Fragen zu stellen, kann eine gezielte Betreuung der Führungskräfte durch Coachings oder Trainings sinnvoll sein.
4. Persönliche Bedürfnisse berücksichtigen
Viele Mitarbeiter empfinden es als positiv, wenn ihre Verantwortung gestärkt wird. Daher ist es wichtig, ihnen aufzuzeigen, welche persönliche Entwicklung im Rahmen der Transformation möglich ist und wie diese im Zusammenhang mit ihren persönlichen Bedürfnissen und Zielen steht. Qualifizierungsmaßnahmen bieten hierfür einen guten Rahmen. Mitarbeiter können sich dort austauschen und das Management kann wichtige Botschaften einfacher erlebbar machen.
5. Nachhaltige Umsetzung
Eine Transformation ist kein Projekt, das mit einer Deadline enden wird. Die Veränderungen müssen ins Tagesgeschäft integriert und die neuen Prozesse wie Verhaltensweisen gelebt werden. Erst wenn jeder Einzelne wiederholt die positive Erfahrung gemacht hat, dass die neuen Prozesse und Tools ihm helfen, wird die Transformation langfristig funktionieren. Daher sollte jede Veränderung mit einer gut geplanten Stabilisierungsphase abschließen. Sie hilft, Rückschläge aufzufangen, Erfolge aufzuzeigen und das Besondere in der Normalität zu verzahnen. Es gilt: „Eine Veränderung ist erst dann wirklich erfolgreich, wenn die Mitarbeiter diese auch in Abwesenheit des Managements verteidigen.“
Interview mit Ingo Brauckmann, CEO Logistics bei thyssenkrupp Steel Europ
"Keine Angst vor heiligen Kühen."
Die Transformation im Procurement betrifft die Geschäftsführung stärker als viele glauben wollen. Einer, der das schon länger predigt, ist Ingo Brauckmann. Der 49-Jährige war bereits für Henkel, DHL Supply Chain und zuletzt für die Berner Group als Chief Supply Chain Officer im Einsatz und hat in seiner Laufbahn mehrere Transformationsprojekte verantwortet. Seit Anfang des Jahres 2019 ist er als CEO Logistics bei thyssenkrupp Steel Europe tätig. Im Interview spricht Brauckmann darüber, wie elementar definierte Rollen sind – und warum die Geschäftsführung so wichtig für eine erfolgreiche Transformation ist.
Herr Brauckmann, Sie waren in vielen Unternehmen tätig und haben verschiedene Ansätze für Transformation gesehen. Welche Rolle spielen die Geschäftsführer?
Für die Geschäftsleitung ist eine Sache ganz entscheidend: das Mindset. Das Management muss sich zu jeder Zeit absolut im Klaren darüber sein, welche strategische und auch operative Bedeutung der Einkauf für das gesamte Unternehmen hat. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Transformation ernst genommen und intern wie extern unterstützt wird. Deshalb ist es für die Geschäftsführung wichtig, die Transformation im besten Fall selbst einzuleiten und gegenüber den Mitarbeitern ausreichend und gut zu begründen.
Und das reicht?
Nein, auf keinen Fall. Es braucht eine ständige Begleitung des Prozesses und einen langen Atem. Denn eine Transformation ist gerade auch im Bereich des Einkaufs kein Sprint, sondern immer ein Marathon. Für die Geschäftsführung bedeutet das, sich regelmäßig über Fortschritte oder Rückschläge zu informieren, sie zu moderieren und zu verhindern, dass „heilige Kühe“, wie es sie in vielen Unternehmen gibt, trotz einer Transformation unangetastet bleiben.
Was meinen Sie mit heiligen Kühen?
Es muss in meinen Augen sichergestellt werden, dass alle Bereiche transformiert und am Ende auch optimiert werden. Nur so gelingt ein erfolgreicher Wandel. Wenn bei der Transformation aber einige Bereiche aus unterschiedlichsten Gründen ausgespart werden, beispielsweise das Marketing oder die Beratung, sendet das ein völlig falsches Signal an die Belegschaft und führt im schlimmsten Fall zu Unmut oder zu einem Glaubwürdigkeitsproblem.
Welche anderen Probleme kommen typischerweise auf?
Dem Einkauf wird in vielen Unternehmen nicht der Stellenwert zugeschrieben, den er eigentlich haben sollte. Um die Bedeutung der Veränderung zu signalisieren, sollte die Geschäftsführung darauf achten, die Transformation „top down“ vorzugeben und von Beginn an Mitarbeiter das Projekt führen zu lassen, die sowohl umsetzungs- als auch durchsetzungsstark sind. Dafür braucht es ganz klare Rollen: Wer verhandelt? Wer macht das Follow-up? Wer erstellt Spezifikationen? Jeder Schritt sollte nur einem Ansprechpartner zugeordnet werden.
Halten Sie es denn für sinnvoll, alles von oben zu diktieren?
Es geht nicht darum, etwas zu diktieren, sondern Ziele, Meilensteine und einen Kommunikationsplan in den oberen Management-Leveln zu erarbeiten und gemeinsam zu beschließen. Die konkrete Umsetzung muss aber in den Teams der einzelnen Bereiche entwickelt und an vielen Stellen mit Partnern in anderen Abteilungen abgestimmt werden. Immerhin hat der Einkauf Schnittstellen zu vielen anderen Bereichen wie etwa Produktion oder Vertrieb. Auch an diesen Schnittstellen sollte es immer einen Ansprechpartner geben, um anstehende Veränderungen abstimmen zu können.
Welche Rolle spielt bei solchen Prozessen die Kommunikation?
Kommunikation ist für die Geschäftsführung extrem wichtig. Sie muss sicherstellen, dass Veränderungsprozesse gegenüber den Mitarbeitern und externen Ansprechpartnern, wie Lieferanten und Kunden, konsistent kommuniziert werden. Beide Seiten, sowohl intern als auch extern, müssen sensibel auf die Transformation vorbereitet werden. Das ist nicht einfach, kann mit der nötigen Strategie aber funktionieren.
Wie kommuniziere ich denn Teilprojekte im Rahmen der Transformation?
Dafür gilt es zunächst, das Projekt als Ganzes in kleinere Teilprojekte zu gliedern, die sich von einzelnen Teams besser bearbeiten lassen. Sind sie zu klein, laufen Sie Gefahr, dass das Projekt zerfasert. Sind sie zu groß, könnten sie Teams überfordern. Ist diese Gliederung erfolgreich absolviert, können Sie überlegen, wie Sie bestimmte Meldungen kommunizieren wollen.
Verhandlungserfolge sollten beispielsweise immer als Leuchtturmprojekte kommuniziert werden, um eine möglichst große Erfolgswelle zu generieren. Wichtig ist dabei, dass alle Mitarbeiter, die beteiligt sind, davon wissen und ihre Beiträge leisten dürfen. Das garantiert, dass Sie möglichst viele Kollegen mitnehmen. Wie bei jeder Veränderung wird es auch im Einkauf Nörgler geben, solche die nicht glauben, dass bestimmte Einsparungen nötig und möglich sind. In diesen Fällen kann ein nachhaltiges und kontinuierliches Reporting sehr wichtig sein, um die Nörgler von der Transformation zu überzeugen.
Und wie kommuniziert man Teilprojekte extern?
Extern lassen sich durch Konsolidierung auf wenige, strategische Partner sehr gute kommunikative Erfolge erzielen. Im besten Fall können Sie mit Ihren Aussagen ein starkes Signal in den Markt senden. Aber aufgepasst: Das Signal muss zur eigenen Strategie passen und darin eingebettet sein, sonst kann der Schuss nach hinten losgehen.
Erfahrungsbericht aus der Praxis mit Niels Walberg, Leiter Zentral-Einkauf bei K+S
"Der Einkauf als Kernelement strategischer Veränderung"
30 Millionen Euro jährlich möchte der Produzent und Anbieter von Mineralien K+S durch Transformation des Einkaufs ab 2021 einsparen. Wie kann das gelingen?
K+S gehört zu den ganz Großen seiner Branche. Das Unternehmen wurde bereits 1889 gegründet, gilt als der größte Salzproduzent der Welt und ist hauptsächlich in Europa sowie Nord- und Südamerika tätig. Darüber hinaus gehört es zur Spitzengruppe der internationalen Anbieter von kali- und magnesiumhaltigen Produkten.
Nachhaltig wachsen, neue Geschäftsfelder erschließen und die eigenen Kunden viel stärker in den Fokus der Unternehmensstrategie rücken: Mit der Gruppenstrategie „Shaping 2030“ führt das Bergbauunternehmen K+S derzeit eine umfangreiche Transformation durch. Der Einkauf nimmt hierbei eine tragende Rolle ein – er soll die unternehmensweite Transformation mit antreiben, indem er Synergien schafft und ab 2021 jährlich über 30 Millionen Euro einspart. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, mussten die globale Einkaufsorganisation weiterentwickelt, Prozesse optimiert und Kompetenzen ausgebaut werden.
Einer der Verantwortlichen für das umfangreiche Transformationsprogramm, das nun seit zwei Jahren läuft, ist Niels Walberg, Leiter des zentralen Einkaufs bei K+S: „Eine solche Summe erreicht man nicht, indem man nur über Preise verhandelt und sonst nichts ändert.“ Mit Hilfe von KGM Strategy hat er mit seinem Team einen Business Case definiert und zunächst 220 konkrete Teilprojekte definiert. Das Ziel: Für Ausgaben von rund zwei Milliarden Euro Einsparungen gegenüber dem aktuellen Preisniveau und eine deutliche Verbesserung gegenüber der strategischen Planung zu erreichen.
Basierend auf einem priorisierten Umsetzungsplan unterstützten temporäre Ressourcen die erfolgreiche Umsetzung wichtiger Initiativen. Gleichzeitig etablierte K+S eine Programmberichts- und Beschaffungscontrolling-Struktur. Diese unterstützt die Beschaffungsmanager beim Tracking von Wertschöpfungspotenzialen und stärkt das Bewusstsein für Rolle und Beitrag des Einkaufs auf Top-Management-Ebene.
Durch die Einrichtung eines Projektbüros, das die Transformation und alle Beteiligten koordiniert, sowie die Erarbeitung eines klaren Programmdesigns wurden die Veränderungsprozesse konkretisiert. „Im Kern geht es darum, Kontingente zu bündeln, alternative Lieferanten zu nutzen oder Bestellvorgänge zu vereinfachen“, erklärt Walberg.
Im Projektverlauf war es für das Einkaufsteam entscheidend, Ansprüchen interner Kunden weiterhin gerecht zu werden und das Servicelevel während der herausfordernden Transformation beizubehalten. „Während sich der Einkauf weiterentwickelt, ist es trotzdem wichtig, im Tagesgeschäft kontinuierlich zu liefern. Unsere Geschäftspartner erwarten, dass wir alle wichtigen Leistungsdimensionen abdecken, von der Einhaltung von Sicherheits- und Nachhaltigkeitsstandards, der Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen, der Kosten- und Qualitätsleistung bis hin zu Innovation und dem Service für unsere internen Kunden“, sagt Walberg.
Parallel wird ein innovatives Beschaffungssystem eingeführt, das den Kunden einen verbesserten Self-Service für ein deutlich größeres Spektrum an Gütern und Dienstleistungen anbietet. Dadurch werden in den Einkaufsteams zusätzliche Kapazitäten für die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen im Rahmen strategischer Einkaufsaktivitäten geschaffen. Der Beitrag zum Unternehmenswert bleibt ein bestimmendes Ziel des Einkaufs – hierbei müssen die unterschiedlichen Erwartungen der Geschäftspartner berücksichtigt werden. Die Vernetzung des Einkaufs mit internen Stakeholdern und externen Lieferanten ist erfolgsentscheidend für das Gelingen der Transformation.
Gerade bei komplexen Produkten und Leistungen, wie sie bei K+S eingekauft werden, muss der Einkäufer ein tiefes Verständnis der Auswirkungen auf den Produktionsprozess sowie hinsichtlich möglicher Risikofaktoren entwickeln.
Die Definition gemeinsamer Prozesse und klarer Rollen haben die Zusammenarbeit zwischen dem Einkauf und den anderen Abteilungen deutlich verbessert. Integrierte Beschaffungsteams aus Einkäufern und Spezialisten der Fachbereiche haben kritische Themen vorangebracht. Der Austausch zwischen den Mitgliedern des Beschaffungsteams und funktionale Schulungen für strategische Einkäufer trugen laut Walberg dazu bei, Fähigkeiten zu entwickeln, die auch weiterhin im Tagesgeschäft von hoher Bedeutung sind, zum Beispiel fortgeschrittene TCO-Methoden.
Bei der Reduzierung der Alternativen im Sortiment für Sicherheits- und Schutzausrüstung etwa hat der Einkauf die betroffenen Ingenieure an den deutschen Standorten sowie den Betriebsrat einbezogen. Walberg: „Wir können leider nicht alle individuellen Wünsche berücksichtigen. Aber durch die Reduktion der Alternativen in Zusammenarbeit mit allen Anspruchsgruppen erzielen wir Einsparungen, ohne in der Qualität nachzulassen.“
Auch die Kosten für Softwarelizenzen konnte der Einkauf deutlich reduzieren. Gemeinsam mit den Bereichen Personal, Recht und IT bildete die Einkaufsabteilung ein Projektteam, das Lizenzbedarfe überprüfte und den Bedarf entsprechend optimieren konnte.
Nach gut zwei Jahren lässt sich bereits festhalten, dass die Maßnahmen wirken. „Die gestärkte globale Einkaufsorganisation trägt in der neuen Aufstellung deutlich und sichtbar zu den Konzernzielen bei.
Gemeinsame Prozesse und Beschaffungsaktivitäten haben die funktionsübergreifende Zusammenarbeit des Einkaufs mit wichtigen Stakeholdern wie Operations und Engineering sowie Geschäftsfunktionen wie Marketing und IT deutlich verbessert“, resümiert Walberg.
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