Verhandlungen im Einkauf auf höchstem Niveau – Spieltheorie und Psychologie

Die Gestaltung von Mechanismen ist einer der Bereiche der Spieltheorie, der sich auf die Entwicklung von Verfahren oder Anreizen für die beteiligten Parteien konzentriert, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Bei Verhandlungen und im Einkauf geht es darum, Anreize für Lieferanten zu schaffen, damit diese ihre bestmöglichen Angebote abgeben. Bei KGM Strategy bezeichnen wir solche Verhandlungen als prozessgesteuerte Verhandlungen.

Die Vorteile herkömmlicher Mechanismen wie Auktionen und der Spielraum zur Anpassung an die Bedürfnisse des Unternehmens und die Anforderungen der Stakeholder machen diese Verhandlungen zu einem wichtigen Instrument. Die Vorteile von Auktionen gegenüber herkömmlichen Verhandlungen liegen in der Transparenz und der Verbindlichkeit des Verhandlungsprozesses. Prozessgesteuerte Verhandlungen zeichnen sich durch eine vordefinierte Anzahl von Phasen mit klaren Regeln aus, wie jede dieser Phasen verläuft und wie Lieferanten den Zuschlag erhalten können. Durch die Transparenz wird sichergestellt, dass die Lieferanten wissen, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen, wenn sie den Auftrag erhalten wollen. Durch die Verpflichtung auf die Regeln und das Ergebnis wird gewährleistet, dass die Lieferanten im Rahmen des vorgegebenen Prozesses ihr Bestes geben müssen, da es für sie keine andere Möglichkeit gibt, den Auftrag zu erhalten.

Je nach den Bedürfnissen des Unternehmens und den Anforderungen der Beteiligten können die Verhandlungen als Auktionen durchgeführt werden, sei es in englischer, niederländischer oder einer anderen Form. Sie könnten auch als Zeitfenster für exklusive Gespräche mit etablierten Unternehmen oder strategischen Partnern dienen. Dies könnten z. B. Zeiten für anreizorientierte Ausschreibungen sein, die sich auf strategisch ausgewählte Zielmärkte beziehen, und vieles mehr. Die genaue Struktur der Verhandlungsphasen sowie ihre Reihenfolge werden durch die Erkenntnisse der Spieltheorie bestimmt, um sicherzustellen, dass die Lieferanten hier und jetzt nicht nur ihr Bestes geben müssen, sondern auch selbst mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Als Einkaufsberatung unterstützen wir vor allem die Einkaufsteams unserer Kunden bei Verhandlungen mit den Verkaufsteams ihrer Lieferanten. Dazu gehören die Gewinnung neuer Aufträge, die Neuverhandlung von Verträgen mit bestehenden Lieferanten, die Durchführung jährlicher Preisverhandlungen und vieles mehr. Eines der häufigsten Probleme, das wir leider beobachten, ist das unausgewogene Niveau der Verhandlungsfähigkeiten zwischen den Verhandlungsteams. Häufig durchlaufen die Verkaufsabteilungen eine längere und intensivere Verhandlungsschulung als die Einkaufsteams, so dass sie in der Regel besser auf Verhandlungen vorbereitet sind. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, besteht darin, die Verhandlungsschulung für Einkäufer zu intensivieren, und eine andere darin, prozessgesteuerte Verhandlungen zu führen, bei denen das Verhandlungsergebnis  vom Prozess und nicht vom Verhandlungsgeschick der beteiligten Parteien bestimmt wird.

Die Durchführung von Verhandlungen nach einem vordefinierten Prozess ermöglicht es Ihnen, die Abhängigkeit von Verhandlungsgeschick, Einflussnahme, Taktik und der Psyche der Menschen, die das Verkaufsteam der Lieferanten oft zu ihrem Vorteil nutzt, zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Die Spieltheorie ist das Tüpfelchen auf dem i, denn ihre Anwendung auf die Prozessgestaltung bedeutet, dass die Lieferanten nicht nur im Augenblick ihr Bestes geben müssen, sondern dass es auch der richtige Prozess ist, um sicherzustellen, dass die Lieferanten ihr Bestes geben.

Wenn es um Exklusivverhandlungen mit einem etablierten Unternehmen oder einem potenziellen strategischen Partner geht, kommt es häufig vor, dass der theoretisch vorhandene Wettbewerb nicht optimal genutzt wird. Eines der aufschlussreichsten Beispiele ist, wenn ein Kunde Gespräche mit dem etablierten Unternehmen über neue Geschäftsmöglichkeiten führt, bevor er sich aktiv mit der auf dem Markt verfügbaren Konkurrenz auseinandersetzt.

Welche Anreize hat das etablierte Unternehmen hier? Die optimale Antwort ist, die Gespräche so lange wie möglich hinauszuzögern und dann einen Preis zu bieten, der gut genug ist, um den Kunden davon abzuhalten, sich in der ohnehin schon knappen Zeit mit einer Ausschreibung herumzuschlagen. Leider ist der angebotene Preis oft gar nicht so niedrig. Die Spieltheorie lehrt uns, den verfügbaren Wettbewerb frühzeitig einzubeziehen und die Regeln des Verhandlungsprozesses allen in Frage kommenden Anbietern, einschließlich des etablierten Unternehmens und der Wettbewerber, mitzuteilen, bevor Exklusivgespräche mit dem etablierten Unternehmen beginnen.

Welchen Anreiz hat der etablierte Anbieter nun? Wenn er das Risiko eines offenen Wettbewerbs um das neue Geschäft vermeiden will, muss er dem Kunden rechtzeitig ein attraktives Angebot unterbreiten.

Meistens spielen für den Kunden nicht nur die Preise der Lieferanten eine Rolle, sondern auch technische Fähigkeiten, Produktqualität, Nachhaltigkeitsmaßnahmen, geografische Lage und so weiter. Deshalb kommt es am Ende auf einen realistischen Vergleich der Anbieter an. Bei KGM Strategy verwenden wir ein Bonus-Malus-System, um die Unterschiede zwischen den Lieferanten zu bewerten und zu monetarisieren und so den ganzheitlichen Vergleich zu gewährleisten. Der Bonus ist eine künstliche Verbesserung des Business Case des Lieferanten auf der Basis seiner Angebotspreise. In der Beschaffung bedeutet Verbesserung eine fiktive Reduzierung des Preises, da sie das Angebot des Lieferanten günstiger und damit attraktiver macht. Der Malus ist eine künstliche Verschlechterung oder fiktive Erhöhung des Preises. Ein Lieferant mit einem qualitativ besseren Produkt als seine Konkurrenten könnte beispielsweise einen Bonus erhalten, während ein Lieferant mit kürzeren Zahlungszielen einen Malus erhalten könnte. Der Hauptvorteil der Bonus-Malus-Bewertung von Lieferantenunterschieden gegenüber den von unseren Kunden häufig verwendeten Scoring-Systemen ist die Monetarisierung dieser Unterschiede.

Zum einen ermöglicht die Monetarisierung eine möglichst objektive Bewertung, zum anderen erlaubt sie einen sofortigen Vergleich der ganzheitlichen Business Cases der Anbieter, wenn sich deren Preise ändern, was in dynamischen Verhandlungsumgebungen besonders wichtig ist. Bei prozessgesteuerten Verhandlungen spielen Bonus und Malus eine weitere entscheidende Rolle. Sie ermöglichen Verhandlungen nach einem vordefinierten spieltheoretischen Prozess. Da alle für die Stakeholder relevanten Unterschiede zwischen den Anbietern berücksichtigt werden, bevor eine Verhandlung beginnt, entspricht die Art und Weise, wie der Gewinner des Geschäfts ermittelt wird, den Präferenzen der Stakeholder. Das Verhandlungsergebnis bedarf daher keiner weiteren Zustimmung der Interessengruppen.